100 FEMALE VOICES

 

Das audiovisuelle Projekt 100 FEMALE VOICES von Martina Stock in der Kollegienkirche präsentiert in Ton und Bild eine weibliche Kulturgeschichte. Stock zeigt eine künstlerische Genealogie von Frauen der letzten 100 Jahre Salzburger Festspiele, die in Oper, Schauspiel, Tanz, Bühnenbild, Regie, Komposition, Literatur, etc. wirkten. Das interdisziplinäre Projekt dient der Gleichstellung der Geschlechter. Es konstruiert mittels Porträts von herausragenden Künstlerinnen in Siebdruck-Unikaten und einer musikalischen Interpretation eine Historie, die so nicht existierte. Stock, deren Hauptmedien die akustische Harfe, die mit elektronischen Elementen, Beats und Soundflächen verfeinert wird, sowie der einzigartige Siebdruck auf Leinwand sind, erzählt Geschichte anhand von ausgewählten Persönlichkeiten aufgelöst in einzelne Schlaglichter eines bestimmten Auftritts, einer bestimmten Rolle und einer bestimmten Präsentation. 

 

Die Zahl 100 hat symbolischen Charakter, es geht sowohl um jede einzelne der ausgewählten Persönlichkeiten, als auch um die Gesamtheit des weiblichen Kunstschaffens, das österreichisches Kulturerbe ist und dennoch das Nationalitätenprinzip überschreitet. Die BesucherInnen werden auf einer multimedialen Ebene durch die Ausstellung geleitet, die sich in verschiedenen Layers und Loops, Saitenklängen und dem malerischen Schichtwerk in Rastern, Flächen und Punkten entfaltet. Martina Stock, die mit Rakel und Sieb malt, schafft ein reiches Beziehungsgefüge, das zwischen Vergangenheit und Gegenwart oszilliert, Raum und Zeit multisensorisch zusammenführt. Die Rücken an Rücken positionierten Werke, die im barocken Hauptschiff eine raumgreifende Installation bilden, verbinden das fotografische Abbild mit der abstrakten Fiktion und vermitteln eine starke Allianz von Frauen. 

 

Die als Gesamtkunstwerk angelegte audiovisuelle Installation will keine weibliche Ästhetik definieren, sondern entwirft ein vielfältiges Narrativ mit zahlreichen Brüchen und Spannungen, das mittels Porträts Zeit und Zeiten abbildet, reflektiert und revidiert. Geschichte aus einer anderen Perspektive zu erzählen, heißt auch Fragen zu stellen: Wie etwa verhält sich eine geschlechtsspezifische Chronologie zu der kulturell vorherrschenden Dominante, die von männlichen Protagonisten geprägt war? Soll sich eine Geschichte, die das weibliche Kunstschaffen in den Blick nimmt, über die Abweichung von einem etablierten Narrativ definieren? Welche nachhaltige Wirkung haben sowohl emanzipatorische Bewegungen als auch Strategien der Selbstbehauptung in der Kunst von Frauen? Was kann man aus der Geschichte lernen? Müssen wir sie rückblickend korrigieren und verändern? 100 FEMALE VOICES von Martina Stock ist an erster Stelle eine Hommage an das weibliche Kunstschaffen und taucht Künstlerinnen im barocken Zentralbau – die Kollegienkirche war 1922 erste Spielstätte der Salzburger Festspiele, ist Schutzort der Künste und Frauenkirche – in ein goldenes Licht, das sich in vielen Reflexen zu einer Zeiten überdauernden Apotheose erhebt. 

 

Text: Angela Stief, Chefkuratorin ALBERTINA MODERN, Wien

 

100 schillernde Frauen in Salzburgs Lichtkirche

 

Einhundert Portraits bedeutender Künstlerinnen aus einhundert Jahren Festspielgeschichte werden von Martina Stock in der Salzburger Kollegienkirche lebensgroß präsentiert.

 

Warum in einer Kirche, möchte frau/man fragen? Handelt es sich um einen Gottesdienst? Vielleicht, denn wenn frau/man durch die paarweise scheinbar zufällig im Raum positionierten Bilder geht, wird Energie spürbar wie vor Beginn einer Vorstellung oder einer Wallfahrt. Hundert Frauen aus hundert Jahren versammelt in Salzburgs Frauenkirche im Hier und Jetzt – mitten unter ihnen Maria, dargestellt im Hochaltar, als ihre Patronin.

 

Die Bilder Martina Stocks leuchten in den Farben des Regenbogens und die realen Fotos der Frauen treten zurück. Erfüllte, begeisterungsfähige Menschen leuchten von Innen, wie Heilige. Dieses Leuchten hat die Künstlerin für uns alle sichtbar gemacht. Die Kollegienkirche in ihrem glitzernden, göttlichen Weiß spendet die dafür unerlässliche Leinwand.
Die Kollegienkirche ist Salzburgs Kunstkirche. Fischer von Erlach schuf mit seiner Architektur einen der bedeutendsten Sakralbauten des Barock. Mit der Uraufführung des „Großen Salzburger Welttheaters“ von Hugo v. Hofmannsthal war sie erster Aufführungsort der Festspiele für das Schauspiel. Heute pflegt die Universitätspfarre den regen Austausch mit vielfach jungen Künstler/innen. Ein gelungenes Beispiel ist der Dialog mit Martina Stock.

 

Die Prozession der Frauen aus 100 Jahren fügt sich ein in das Konzept dieser Kirche, in der der Architekt das „Himmlische Jerusalem“ darstellen wollte. Dort spielen nicht Geschlecht oder Herkunft eine Rolle, sondern es zählt allein die Leidenschaft von Menschen, die nach Wahrhaftigkeit streben.

 

Christian Wallisch-Breitsching
Kollegienkirche Salzburg